“Die bisher erkämpften sexuellen und reproduktiven Rechte sind bei Weitem nicht ausreichend – und gleichzeitig trotzdem in Gefahr.”

Redebeitrag von Pro Choice Dresden

Wir dokumentieren hier einen Redebeitrag von Pro Choice Dresden, der auf der Demonstration “Leben schützen – Abtreibung legalisieren” in Annaberg-Buchholz am 11. Juni aus Zeitgründen nicht vorgetragen werden konnte. Es geht darin u.a. um die globale Vernetzung ultrakonservativer Katholiken, Evangelikaler und Rechtsradikale und die Auswirkungen die dies bereits in einigen Ländern der EU hat:

Im Oktober 2020 unterzeichneten 32 Staaten die „Geneva Consensus Declaration“, die festhält, dass es „kein internationales Recht auf Schwangerschaftsabbruch“ gebe. Neben den USA und Brasilien schlossen sich dieser Deklaration vor allem Autokratien an, darunter Saudi-Arabien, Ägypten, Kamerun, Uganda und die Vereinigten Arabischen Emirate. In Europa traten ihr Polen, Belarus und Ungarn bei. Es steht fest:
Ultrakonservative Katholiken, Evangelikale und Rechtsradikale vernetzen sich zunehmend global. Sie werden dabei von rechtspopulistischen und konservativen Regierungen und Politiker*innen offen hofiert.  So hielt 2017 der ungarische Präsident Viktor Orban die Eröffnungsrede auf dem christlich fundamentalistischen “World Congress of Families”. 2019 trat dort der damalige italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega auf. Ein weiterer Besucher war Maximilian Krah, der AfD-Kandidat für das Amt des Dresdener Oberbürgermeisters, das morgen neu gewählt wird. Und 2020 nahm der damalige Präsident der USA Donald Trump am Pro Life Marsch in Washington teil.

2018 wurde wiederum das verborgen arbeitende Netzwerk “Agenda Europa” enttarnt, dessen Mitglieder unter anderem für Spanien 2014 und Polen 2016 restriktive Gesetzesentwürfe zur massiven Einschränkung von Abtreibungsrechten verfassten und förderten. Nach seiner Enttarnung reorganisierten sich die Mitglieder neu im sogenannten “Politischen Netzwerk der Werte”. Vor zwei Wochen hielt dieses Netzwerk in Ungarns Hauptstadt Budapest sein viertes transatlantisches Gipfeltreffen ab. Die Ziele sind die gleichen geblieben: Sie wollen “die natürliche Ordnung” wiederherstellen – wie sie es nennen – und sexuelle und reproduktive Rechte, aber auch Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen bekämpfen.
Neben Polen sind auch in Italien und Ungarn bereits verschiedene Einschränkungen im Sinne der Ultrakonservativen auf den Weg gebracht worden. Ein Beispiel: In Italien wurden in Regionen, die von einer rechtsnationalistischen Parteien-Koalition aus Lega, Fratelli d’Italia und Forza Italia regiert werden, Maßnahmen zur Einschränkung des Schwangerschaftsabbruchs eingeführt, z. B. das Verbot für Kliniken, die Abtreibungspille abzugeben, oder die Erlaubnis für Abtreibungsgegner*innen, in Krankenhäuser einzudringen, um Frauen unter Druck zu setzen.

Darüber hinaus nehmen christlich-fundamentalistische Petitionsplattformen wie CitizenGo Einfluss auf das Abstimmungsverhalten im EU-Parlament. Zusammen mit anderen fundamentalistischen Gruppen wie der Europäischen Bürgerinitiative EINER VON UNS ist es CitizenGo 2013 gelungen, den Estrela-Bericht zu verhindern – ein Papier, in dem sich das Europäische Parlament dazu bekennen sollte, dass allen Europäerinnen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Sexualaufklärung zusteht.
Mit dieser Aktion brüstete sich übrigens 2017 Hedwig von Beverfoerde, Koordinatorin von EINER VON UNS hier in Annaberg auf dem Schweigemarsch.

Die Plattform CitizenGo agitiert aber nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch im globalen Süden gegen Abtreibung. So fährt sie in Ländern wie Kenia, Malawi, Niger und Tansania über Social-Media-Kanäle Hetzkampagnen gegen Kliniken, an denen Frauen kostenlos Angebote zur reproduktiven Gesundheitsversorgung wahrnehmen können, beispielsweise zu Verhütung. 2019 lancierte CitizenGo in der nigerianischen Stadt Laos eine Polizeirazzia in einer Klinik, die Frauen nach unsicheren Abbrüchen medizinisch versorgt, also Leben rettet.

Im Sommer 2021 stand im EU-Parlament eine erneute Abstimmung über ein Papier an, welches sich für freien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt – der Matić-Report. Diesmal konnte CitizenGo seinen Erfolg aber nicht wiederholen – auch weil die Gegenseite vorgewarnt war und gegenhielt. Der Matić-Report wurde durch das EU-Parlament angenommen. Dieses Ergebnis ist für die EU-Mitgliedsstaaten zwar nicht bindend. Dennoch ist mit dieser Abstimmung ein klares und starkes Signal verbunden, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte in der EU geschützt und sichergestellt werden müssen.

Im Sinne des Matić-Reports hat Spanien beispielsweise aktuell eine umfassende Reform des „Gesetzes der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs“ auf den Weg gebracht: Z. B. sollen künftig Frauen ab dem 17. Lebensjahr eine ungewollte Schwangerschaft beenden lassen können, ohne das dazu die elterliche Zustimmung nötig ist. Menschen mit starken Regelschmerzen können sich bis zu fünf Tage pro Monat krankschreiben lassen. Und Bildungseinrichtungen und Gefängnisse werden Tampons und Binden kostenlos zur Verfügung stellen. Darüber hinaus ist in Spanien kürzlich ein weiteres Gesetz in Kraft getreten: Die Belästigung von Schwangeren vor Abtreibungskliniken und von Klinikpersonal können mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden.

In den USA hingegen könnte das geltende Abtreibungsrecht bald Geschichte sein. Fünfzig Jahre hat die christliche Rechte alles daran gesetzt, die Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen zu bekämpfen. Nun plant offenbar der durch Trump mehrheitlich ultrakonservativ besetzte Supreme Court, das 1973 gefällte Grundsatzurteil Roe vs. Wade zu Fall zu bringen. Zahlreiche republikanisch regierte Bundesstaaten sind auf diesen historischen Moment vorbereitet und haben restriktive Landesgesetze vorbereitet, die den Schwangerschaftsabbruch massiv einschränken oder gleich ganz verbieten würden.

Diese Entwicklung wird nicht ohne Folgen für die reproduktiven Rechte in anderen Ländern bleiben. Die christlich-fundamentalistischen und rechten Akteur*innen werden sich gestärkt sehen in ihrer Agenda gegen reproduktive Rechte. Wir müssen daher als Feminist*innen noch mehr in Bewegung kommen. Organisiert euch, vernetzt euch, übt Druck aus: Wir dürfen den religiös-rechten Netzwerken nicht das Feld überlassen. Die bisher erkämpften sexuellen und reproduktiven Rechte sind bei Weitem nicht ausreichend – und gleichzeitig trotzdem in Gefahr.