Gaidao 04/18: §219 StGB – Wenn Aufklärung kriminalisiert wird. – Warum für fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen der §219(1) ein Geschenk des Himmels ist

Seit Ende letzten Jahres wird in Deutschland wieder breit über die Gesetzeslage zu Schwangerschaftsabbrüchen diskutiert. Aulöser dafür war der Prozess gegen die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel, die auf ihrer Website auch über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches informiert. Eine erfreuliche Neuigkeit ist die öffentliche Aufmerksamkeit und verbreitete Solidarisierung, die Hänel durch ihre politische Prozessführung entfacht hat.

Denn was wenige wissen: Anklagen wie diese sind kein Einzelfall. Schon seit langem nutzen christliche Fundamentalist*innen den §219, um Gynäkolog_innen unter Druck zu setzen und einzuschüchtern.

In der aktuellen Debatte richten sich alle Augen auf den Bundestag, doch die Rolle der erzkonservativen Fundis findet kaum Beachtung. Dabei lohnt sich der Blick auf die Strategien der selbsternannten "Lebensschutzbewegung" und ihres Umfeldes.

Seit Mitte der Nullerjahre geht diese vermehrt in die Offensive. Es wird Angst geschürt gegen alles, was ihr Idyll der heterosexuellen, Kinder habenden Familie gefährden könnte. Dazu gehören die "Ehe für alle",  Sexualaufklärung, das Aufbrechen festgefahrener Geschlechterrollen und natürlich reproduktive Rechte - sei es nun der Zugang zur "Pille danach" oder die Entscheidung über den Abbruch einer Schwangerschaft.

Die Protagonist*innen dieses antifeministischen Rollbacks sind dabei gut vernetzt und häufig in den gleichen Klüngeln unterwegs. So ist beispielsweise Beatrix von Storch (AfD) nicht nur an vorderster Stelle bei den Protesten der "Demo für Alle" gegen eine moderne Sexualaufklärung in Stuttgart dabei, auch bei dem "Marsch für das Leben" in Berlin sah man sie das Fronttransparent halten. Begleitet werden diese öffentlichen Auftritte durch eine
Unzahl an Hinterzimmergesprächen, Fundraisingaktionen und Werbekampagnen in evangelikalen und  erzkatholischen Gemeinden. Hinzu kommen direkte Aktivitäten gegen Menschen oder Institutionen, die
mit Abtreibungen befasst sind.

Das Repertoire der Fundis reicht dabei von "Mahnwachen" vor Kliniken oder Beratungsstellen über  Gebetsmärsche und sogenannte "Gehsteigberatungen" bis hin zu Verleumdungskampagnen und Strafanzeigen gegen Mediziner*innen. Sie verfolgen damit drei Ziele:Zum einen werden Menschen, die abtreiben wollen, moralisch unter Druck gesetzt, die ungewünschte  Schwangerschaften nicht zu beenden.Zum anderen sollen Mediziner*innen mit öffentlichem, finanziellem und juristischem Druck dazu gebracht werden, keine Abbrüche (mehr) vorzunehmen.Nicht zuletzt sollen Schwangerschaftsabbrüche gesellschaftlich noch stärker geächtet werden, dazu gehört auch eine weitere Verschärfung der Gesetzeslage unter Einbindung von CDU, CSU und AfD.

Um dem erzkonservativen Rollback eine emanzipatorische Utopie entgegen zu setzen ist eine starke feministische Bewegung wichtig. Auf verschiedenen Ebenen muss dazu Druck gemacht werden: auf der Straße,
in den Medien, und eben auch im Parlament.
Wichtig zu beachten ist dabei, dass die Forderung nach der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches und die Streichung des §218 StGB nicht für faule Kompromisse aufgegeben wird. Sollte der §219 in nächster Zeit entschärft oder abgeschafft werden (der jetzige Schlingerkurs der SPD schürt so manche Zweifel), so ist das nur ein Teilerfolg. Dieser kann Mut für weitere Auseinandersetzungen geben, wäre aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Auch die Fundamentalist*innen
verlassen sich nicht allein auf die aktuelle Gesetzeslage, sondern nutzen alle Mittel für ihre antifeministische Lobbyarbeit. Diese Angriffe auf hart erkämpfte feministische Errungenschaften müssen entschlossen, solidarisch und inklusiv abgewehrt werden. Dabei kann ein Blick über den Tellerrand, zum Beispiel auf die Pro-Choice-Bewegung in Polen oder Irland, neue Inspirationen geben.

Das Bündnis Pro Choice Sachsen solidarisiert sich mit Kristina Hänel und allen anderen durch Anzeigen fundamentalistischer Abtreibungsgegner*innen bedrohten Mediziner*innen. Wir kämpfen für das Recht auf
uneingeschränkten Zugang zu Informationen über die rechtlichen und medizinischen Rahmenbedingungen eines Schwangerschaftsabbruchs.

Am 16.06.2018 fahren wir nach Annaberg-Buchholz!Fundis und Rechten den Tag versauen!Leben
schützen!
Abtreibung legalisieren!§218 und §219 StGB abschaffen!Für eine feministische Praxis!

Fußnote:1) Der §219 des Strafgesetzbuches verbietet es, Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu machen. Gynäkolog*innenn sind deshalb, insbesondere durch $219a, oft die Hände gebunden, wenn sie über Schwangerschaftsabbrüche als Leistung ihrer Praxis informieren wollen.

§219a(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise

1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder

2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis
auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Quelle: https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html

Auch in der GaiDao 88 April 2018 nachzulesen